Ein Leben in der Wildnis Kanadas – Interview mit Auswanderin Nicole

Rainer HellsternLänder5 Kommentare

In der Wildnis Kanadas

Jetzt wird’s abenteuerlich! Das heutige Interview führt uns in die Wildnis Kanadas. Ich habe Auswanderin Nicole zu Ihrem neuen Leben im hohen Norden Kanadas befragt. Viel Spaß beim Lesen!

1. Hallo Nicole, bitte stell dich kurz vor?

Ich bin drei Tage nach Abschluss meines Sozialpädagogikstudiums alleine nach Kanada ausgewandert und lebe inzwischen seit 20 Jahren hier. 2005 sind mein Freund und ich mit unseren Hunden in die Wildnis umgezogen (Grenzgebiet von British Columbia, Yukon Territory und Alaska), da wir am liebsten in der Natur sind.

2. Was war der Grund für dich nach Kanada auszuwandern?

Kanada hat mich schon als Teenager fasziniert (die Natur, die multikulturelle Gesellschaft und dass es nicht so überpatriotisch ist wie die USA oft wirkt). Nach dem Abitur bin ich alleine durch Westkanada gereist und habe ein Jahr Au-Pair gemacht – und danach war es völlig um mich geschehen. Mir gefielen die freundliche und lockere Art der Leute, sowie die Natur und die vielen Möglichkeiten, die einem hier offenstehen – von der Arbeit über die Wohnlage bis hin zum Grundstückskauf und Hausbau bietet einem in Kanada viel, viel mehr Möglichkeiten als Deutschland.

Aber der Hauptgrund war, dass ich mich in das Land verliebt hatte und während des Studiums in Deutschland ganz schreckliches Heimweh nach Kanada hatte.

3. Wie schwierig waren die bürokratischen Hürden für die Einwanderung in deinem Fall?

Ich bin über das Live-in Caregiver Program eingewandert, was eigentlich sehr leicht ist: Nach zwei Jahren als Nanny kann man den Permanent Resident Status bekommen und brauchte sich weder durch das Punktesystem zu quälen noch Unmengen von Geld oder einen garantierten Arbeitsplatz nach den zwei Jahren vorzuweisen.

Allerdings haben die Sachbearbeiter meine Unterlagen falsch bearbeitet (absolut keine Seltenheit in Kanada), sodass es etwas länger dauerte und letztendlich ziemlich nervenaufreibend war. Aber das scheint zum Auswandern nach Kanada fast dazuzugehören!

4. Du betreibst einen Blog unter www.nicole.penarctica.com. Erzähl mal um was es da geht?

Mein Blog erzählt von unserem Leben in der Wildnis. Wir sind ca. 50km vom White Pass am Chilkoot Trail entfernt, über den während des Klondike Gold Rush die Goldgräber aus Alaska ins Landesinnere vorgestoßen sind. Da es hier keine Straßen gibt, sind wir nur über Flüsse und Seen oder per Buschflugzeug zu erreichen. Zweimal im Jahr paddel ich mit dem Kajak ins nächste Dorf.

Per Satelliteninternet berichte ich aus unserem Alltag – Bau- und Renovierungsarbeiten an unserem selbstgebauten Blockhaus, Begegnungen mit unseren nächsten Nachbarn, den Elchen und Bären; wie es sich bei tiefen Minusgraden lebt und was halt bei uns gerade so los ist.

5. Versorgt ihr euch komplett selbst mit Lebensmitteln (eigener Anbau, Jagd…) oder kaufst du alles bei deiner (halb)jährlichen Kajaktour im nächsten Dorf ein?

Mit Fleisch und Fisch versorgen wir uns zu 100% selbst und mit Gartengemüse zu ungefähr 80%, aber es gibt natürlich sehr viele Dinge wie Mehl, Kaffee, Spaghetti, Obst, Klopapier und auch Nägel, Ersatzteile usw, die wir einkaufen müssen. Der Einkauf wird dann mit dem Buschflugzeug geliefert, da in mein Kajak außer mir nicht viel reinpasst.

6. Welche großen Unterschiede kannst du zwischen dem Leben in Deutschland und Kanada feststellen?

Kanada bietet einem vor allem abseits der Großstädte unendlich mehr Freiheit als Deutschland es je könnte. Wir haben uns z.B. unser Haus komplett selbst bauen können, ohne Fachleute anheuern zu müssen, und können dank eines einfach zu erwerbenden Jagdscheins und Angellizenz unseren Speiseplan mit selbstgejagtem Elch, Schneeziege, Seeforelle und Hecht bereichern.

Auch beruflich stehen einem hier viel mehr Möglichkeiten offen, gerade in kleineren Orten und ganz besonders im Norden. Ich habe über die Jahre in vielen Jobs arbeiten können, die mich sehr interessierten und für die ich in Deutschland jeweils erst eine jahrelange Ausbildung benötigt hätte oder die es dort gar nicht gibt. So habe ich z.B .mit indianischen Jugendlichen gearbeitet, Gebäude aus der Goldrauschzeit mitrestauriert, war Flugwacht in Heliskiresorts, habe ein Community College (Volkshochschule) geleitet, war an der Hotelrezeption, habe Buchhaltung und, und, und gemacht. Heute arbeite ich als freie Schriftstellerin und Übersetzerin; das sind allerdings Berufe, in denen es auch in Deutschland viele Quereinsteiger gibt. Wenn einem der Sinn nach etwas ganz Eigenem oder viel Verschiedenem steht, kann man sich in Kanada eher selbstverwirklichen als in Deutschland.

Mir kommen die Menschen in Kanada glücklicher oder zumindest zufriedener vor und nicht so auf Äußerlichkeiten wie Kleidung und Frisur fixiert. In Deutschland wird so oft genörgelt und gejammert. Dabei bin ich bei Besuchen dort über den Wohlstand (neue Autos, schicke Klamotten, die Wohnungseinrichtungen, Zahnarzt muss nicht wie in Kanada selbst bezahlt werden, Urlaubsanspruch usw) im Vergleich zu Kanada jedes Mal geradezu geschockt. Vielleicht ist die deutsche Unzufriedenheit ja in dem relativen Mangel an Freiheit begründet?

7. Kannst du dir vorstellen, irgendwann wieder nach Deutschland zurückzukehren?

Nein, absolut nicht. Da käme ich vor wie in einer Zwangsjacke.

8. Schlusswort: Welchen speziellen Tipp würdest du jemandem geben der nach Kanada auswandern möchte?

Seid flexibel, informiert euch und schaut euch ausgiebig im Land um, bevor ihr auswandert. In den Großstädten kann es schwer sein Fuß zu fassen, während man in entlegenen kleineren Orten und besonders im Norden Arbeit geradezu nachgeschmissen bekommt.

Seid euch darüber im Klaren, dass ihr bei Null anfangt. Deutsche Zeugnisse und Arbeitserfahrung gelten hier nicht viel, daher ist es oft von Vorteil, erst einmal überhaupt einen Job anzunehmen, selbst wenn es nicht der Traumjob ist und in einer völlig anderen Gegend ist, als wo man hinwill. Sich als Volunteer zu engagieren ist auch eine gute Möglichkeit, kanadische Arbeitserfahrung und die hier sehr wichtigen Referenzen zu sammeln. In Kanada ziehen die meisten Leute öfter mal um – macht es genauso und richtet euch danach, wo sich euch Möglichkeiten bieten und weniger danach, wo ihr wirklich hinwollt oder was ihr eigentlich machen wollt. Nach ein paar Jahren habt ihr dann die Qualifikationen, euch in eurer Traumgegend in euerm Traumjob niederzulassen.

Vielen Dank für das Interview!

über mich

Rainer Hellstern

Mein Name ist Rainer und ich bin Gründer und Autor des Auswandern Handbuchs. Seit 2008 verfasse ich hier Beiträge rund um die Themen Arbeit, Leben und Rente im Ausland. Mehr über mich.

5 Kommentare bei “Ein Leben in der Wildnis Kanadas – Interview mit Auswanderin Nicole”

  1. Tolles Interview, das einem schöne Einblicke in das Land Kanada git. Vieles wusst eich gar nicht, aber ab und zu wünscht man sich nichts sehnlicheres, als ein solches leben zu haben. Ich teile einige Meinungen mit ihr, bin aber nicht mutig genug einen solchen schritt zu gehen. Deshab Hut ab!
    Aus meinem momentanen Urlaubsaufenthaltsort im hotel in schenna sende ich Grüße
    Claudia

  2. Für mich wäre es ein absoluter Traum, wenn ich irgendwann nach Kanada auswandern könnte, um dort Trucker zu werden. Aber momentan fehlt es mir einfach noch an den Rücklagen.

    War trotzdem schön, hier schon mal einen Vorgeschmack auf das Leben in Kanada lesen zu dürfen.

  3. Mit großem Interesse habe ich deinen Blog gelesen.
    Auch ich träume seit vielen Jahren, von genauso ein Leben, in „Freiheit“ ohne jede Menge Regeln und Vorschriften die ich nicht haben will, wie du sehr gut beschrieben hast Nicole, wie in eine „Zwangsjacke“.
    Die Lebensqualität in vielen Ländern ist wesentlich besser als in Deutschland. Schaut man in die Gesichter der Menschen auf der Straße, sieht man kaum noch lachende, fröhliche und ausgelassene Menschen. wir haben hier alles, Autos, Wohnungen, Geld…nur keine Lebensfreude!!!

    Kanada steht schon lange auf meine Wunschliste. Mit Haus direkt am See oder Meer, am Rand der Zivilisation, in und von der Natur leben zu können als Selbstversorger. Den Mut einen solchen Schritt zu machen, den habe ich (W. im mittleren Alter), mit fehlt nur den passenden Partner, denn zu zweit ist es wesentlich leichter!

    Schöne Grüße aus dem verregneten Deutschland
    Maria

    P.S. -Das hier sollte keine Kontaktanzeige sein, aber vielleicht liest es jemanden die den selben Lebenstraum hat und sich angesprochen füllt!! Über Kontakte wurde ich mich freuen, solymar7@gmx.de

  4. Hallo Nicole Hut Ab du hast das echt gut und sehr realistisch super erklärt, danke das es dich gibt . Ich möchte auch gerne nach Kanada Auswandern seit ich 10 Tage in Vancuver Urlaub gemacht habe . Ich weis Urlaub ist das eine und die Wildnis ist Abenteuer und Realität, bin gerne in der Natur und Wander unheimlich gerne liebe die Freiheit die man leider nicht hat in stuttgart und bin bereit vieles hinter mir zu lassen . Bin ja selber Schlosse und Schweißer und im allgemeinen sehr Handwerklich und Symphatisch gegenüber Menschen .
    Möchte gerne in einem Dorf wohnen wo man sich gegenseitig hilft. Könntest du mir paar Tipps geben welche Dörfer im Norden es gibt die sehr Einheimisch leben . Danke
    Grüße Leonardo

  5. Hallo Nicole,

    auch wenn es schon 5 Jahre her ist, ich denke Dein sehr informativer Bericht über Dein Leben in Kanada ist nach wie vor aktuell.

    In 2018 war ich mit Freunden an der Westküste von Vancouver und von da aus nördlich, in die Berge unterwegs. Leider hatten wir nicht genügend Zeit, da es schon Ende August war, und wir sind gen Süden in die USA gefahren.

    Im Vergleich zu USA erschienen mir die Leute in BC aber ziemlich engstirnig. ZB war es unmöglich mit dem Campingbus über Nacht auf Rastplätzen zu stehen. Wahrscheinlich wird es außerhalb der Städte Richtung Norden erst “freier” nehme ich an. Wie siehst Du das?

    Bin sehr naturverbunden und wünsche mir ein Leben in der Wildnis. In Europa ist das ja nicht möglich. Bin jetzt 56 und überlege, ob ich meinen Traum noch wahr machen werde.

    Viele Grüße,
    Volker

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