Interview: Die besten Tipps von China Auswanderer Oliver

Kaum ein Land hat sich in den letzten 20 Jahren so sehr gewandelt wie China. In wirtschaftlicher Hinsicht führt bereits heute kein Weg an China vorbei und auch technologisch ist das Land auf der Überholspur, wie die kürzliche Mondlandung des Jadehasen belegt. Bei so viel Dynamik stellt sich natürlich auch die Frage, welche Chancen das Land eigentlich für Auswanderer bietet. Hierfür konnte ich einen echten China-Experten gewinnen! Oliver hat jahrelang in China gelebt und sich freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung gestellt:

1. Hallo Oliver, kannst du dich kurz meinen Lesern vorstellen und erzählen, wie du nach China kamst?
Klar, gerne. Ich stamme ursprünglich aus dem schönen Basel in der Nordwestschweiz, wo ich mehrere Jahre als Lokaljournalist gearbeitet habe. Vor etwa sechs Jahren wollte ich mir eine Auszeit von der hektischen Schreibarbeit gönnen und meldete mich zu einem Chinesisch-Sprachkurs an einer Hochschule in Peking an. Bevor der Halbjahreskurs vorbei war, fand ich bei einem chinesischen Nachrichtenverlag eine Anstellung. Ich musste helfen, eine deutschsprachige Website auf Vordermann zu bringen. Für mich war das eine faszinierende Möglichkeit, einen vertieften Einblick in das Funktionieren der chinesischen Medien zu gewinnen.

 

2. Dabei warst du sicher häufig mit der Zensur konfrontiert. Wie hast du das erlebt?
Auf der Redaktion merkte ich eigentlich erstaunlich wenig davon. Das klingt vielleicht überraschend, hat aber einen einfachen Grund: Die wirklich heiklen Themen sind die drei Ts: Tibet, Taiwan und Tiananmen. Und da genau bei diesen Fragen der Common Sense der meisten Chinesen ohnehin mit den Vorgaben der Regierung übereinstimmt, kam es fast nie zu Reibereien. In den meisten anderen Bereichen können Journalisten hingegen weitgehend frei berichten und zum Beispiel Korruptionsfälle oder Umweltskandale aufdecken. Die Zensur merkte ich daher eher im privaten Umfeld, weil ich wichtige Websites wie Facebook oder Youtube nicht öffnen konnte.

3. Stichwort Arbeit. Wie geht man am besten vor, wenn man in China leben und arbeiten will?
Das Beste ist sicherlich, wenn man sich von seiner Firma nach China versetzen lassen kann. Dann muss man sich in der Regel um nichts kümmern und die Bezahlung ist meist sehr gut. Wer diese Möglichkeit nicht hat, braucht sich jedoch keine Sorgen zu machen. Es ist auch möglich, einfach nach China zu reisen und sich vor Ort eine Arbeit zu suchen. Das ist leichter als man glaubt. Besonders gefragt sind Englischsprachlehrer, aber auch ausgebildete Fachkräfte. Was man wissen muss: Westliche Ausländer sind für viele chinesische Firmen ein Statussymbol. Wir Langnasen symbolisieren, dass es einem Betrieb finanziell gutgeht und dass er international ausgerichtet ist.

4. Welche großen Unterschiede kannst du zwischen dem Leben in der Schweiz und China feststellen?
Die ganz andere wirtschaftliche Struktur schlägt sich stark auf die Lebensqualität nieder – und das meine ich überhaupt nicht negativ. Natürlich sind die angesprochenen Schwierigkeiten mit dem Internet, die ständig verstopften Straßen und die schlechte Luft ganz große Probleme. Aber das Leben in China bringt auch eine Menge Vorteile mit sich. Ich habe in all den Jahren beispielsweise kein einziges Hemd selber bügeln müssen und bei dem großartigen kulinarischen Angebot vergingen ein paar Jahre, bis ich mir überhaupt erst eine Bratpfanne kaufte. Insgesamt scheint mir das Leben einfacher.

5. In China sind auch Kultur und Mentalität ganz anders. Konntest du dich leicht in die Gesellschaft integrieren?
Ich hatte Glück, dass ich in einem chinesischen Betrieb angestellt war, wo es nur ganz wenige Ausländer gab. So konnte ich mit einigen meiner ehemaligen Arbeitskollegen wertvolle Freundschaften knüpfen, die bis heute anhalten. Allerdings sind die meisten Chinesen ohnehin sehr offen und man lernt leicht jemanden kennen. Positiv fand ich, dass die Leute nicht ständig darauf bedacht sind, ihre Privatsphäre zu schützen. Wenn ich mit jemandem auf der Straße ein interessantes Gespräch führe, kann ich ihn um seine Telefonnummer bitten. In der Schweiz würde sowas mit sehr viel Skepsis bedacht werden. Darüber hinaus gibt es jede Menge Onlineplattformen, um Leute kennenzulernen. Persönlich finde ich die in China sehr weit verbreitete App WeChat mit ihrer Funktion Lookaround genial. Allerdings habe ich vor allem in der Expat-Community auch eine ganze Reihe von Leuten getroffen, die sich nie mit China auseinander gesetzt haben: Sie kaufen im internationalen Supermarkt ein, essen in westlichen Restaurants, schicken die Kinder in die deutsche Schule und haben fast nur andere ausländische Freunde.

6. Du hast den Sprachkurs erwähnt. Wie gut konntest du nach einem halben Jahr die Sprache? Chinesisch gilt ja als eine der schwierigsten Sprachen der Welt.
Diesen Ruf hat sie zu Unrecht, zumindest was die gesprochene Sprache betrifft. Die Grammatik ist ausgesprochen simpel und die Töne hat man schnell drauf. Nur Lesen und Schreiben ist unglaublich schwer. Nach meinem vier Monate langen Intensivkurs war ich in der Lage, mich einigermaßen zu unterhalten. Dass mein Chinesisch heute trotzdem nicht so gut ist, wie es nach einer so langen Zeit sein sollte, hängt damit zusammen, dass ich bei der stressigen Arbeit irgendwann die Motivation zum Lernen verlor. Heute bereue ich das ein wenig.

7. Kannst du dir vorstellen irgendwann nach China zurückzukehren?
Auf alle Fälle. Sicherlich zum Reisen und um meine Freunde wieder zu sehen. Ich habe China ja nicht verlassen, weil ich es dort nicht mehr ausgehalten hätte. Im Gegenteil: Ich vermisse das lockere Lebensgefühl von dort drüben. Aber nach den vielen Jahren lernte ich immer weniger neue Dinge dazu. Wenn ich nochmals nach China zurückgehe, dann nur in eine andere Stadt und wenn ich wieder eine spannende Aufgabe habe. Andernfalls würde ich lieber ein neues Land kennenlernen.

8. Nach deiner Rückkehr hast du unter http://www.sinograph.ch/ einen Chinablog gestartet. An wen richtet sich die Website?
Ich führte schon in China einen anderen Reiseblog, in dem ich auch von meinen Ausflügen im Reich der Mitte berichtete. Die Idee, eine zweite Webseite zu schaffen, in der es ausschließlich um China geht, hatte ich erst nach meiner Rückkehr. Der Grund liegt im Frust bei meiner derzeitigen Stellensuche: Ich möchte meine Chinaerfahrungen einbringen können, aber solche Stellen gibt es nur ganz selten. Deswegen habe ich mich daran gemacht, auf Sinograph ein Kompetenzzentrum für Chinareisen zu schaffen und hoffe, dass sich daraus Möglichkeiten ergeben. Die Seite richtet sich an Touristen, Expats und Auswanderer – also kurz an alle, die China selber erleben wollen.

9. Welchen speziellen Tipp würdest du zukünftigen China-Auswanderern mit auf den Weg geben?
Lasst euch nicht vom schlechten Image des Landes abschrecken. China besteht nicht nur aus Politik und Verstößen gegen die Menschenrechte.

Vielen Dank für das Interview!

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