Die Karibik aus einem anderen Blickwinkel: Ein Tobago-Auswanderer berichtet

Rainer HellsternLänderKommentar verfassen

Am Strand in Tobago

Viele Menschen denken beim Thema Karibik automatisch an weiße Sandstrände, Palmen und traumhafte Buchten, die zum Baden und Relaxen einladen. Da ist es naheliegend, dass die Karibik eines der beliebtesten Fernreiseziele der Deutschen ist. Doch was, wenn einem der Karibikurlaub gleich so gut gefällt, dass man sich dauerhaft dort niederlassen möchte? Wer in die Karibik auswandern möchte, sollte die Inseln nicht nur unter touristischen Gesichtspunkten betrachten. Im Interview gibt der erfahrene Tobago-Auswanderer Jörg Einblicke in das Leben abseits des Touri-Alltags:

Hallo Jörg, bitte stell dich kurz vor?

Jörg Kilian, geboren 1968 in Kassel, Studium in Bamberg, Diplom Politologe, verschiedene Rücksackreisen (Interrail, Israel/Ägypten, Australien), ausgewandert nach Tobago (2000), Fan von Borussia Dortmund, Vater von Rudy…

Was war der Grund für dich nach Tobago auszuwandern?

Dummheit, Naivität, ich war verliebt in Rudys Mutter und in Tobago

Warst du seinerzeit im Urlaub oder beruflich auf Tobago?

Ich flog als Rucksackreisender recht spontan nach Tobago. Damals wusste ich kaum etwas von dem Land. Ich hatte lediglich gehört, dass es in Tobago warm ist, der Staat aufgrund seiner Bodenschätze (Öl und Gas) reich ist und dass die Insel recht ursprünglich sein soll. Als Staatsbürger des Landes kannte ich den Fußballer Dwight Yorke und den Fußball-Funktionär Jack Warner, der bereits damals in der deutschen Presse als Synonym für Korruption galt.

Wie schwierig waren die bürokratischen Hürden für die Einwanderung in deinem Fall?

Im Vergleich zu anderen Einwanderern in Tobago ging es bei mir recht problemlos. Mit 10 kg Gepäck nach Tobago gereist, dort geheiratet und Aufenthaltserlaubnis beantragt. Nach Vorlage von unzähligen Dokumenten und einigen Interviews mit Partnerin wurde diese genehmigt.

Was machst du beruflich auf Tobago?

Mit meiner Agentur vermittele ich Unterkünfte auf Tobago. Ich hatte das Glück, zu einer Zeit nach Tobago ausgewandert zu sein, als der Tourismus für tobagonische Verhältnisse geradezu boomte. Ich freute mich über zahlreiche (zumeist deutschsprachige) Gäste, die ich am Flughafen begrüßen konnte. Am liebsten denke ich an die vielen netten Gäste zurück, denen es auf Tobago bestens gefallen hat und mit denen ich mich bei einem Treffen in der Unterkunft oder an einer Beach-Bar auch noch super unterhalten konnte. Einigen Gästen hat es hingegen nicht gefallen – auch davon handelt mein Blog.

Welche nennenswerten Unterschiede gibt es zwischen dem Leben in Tobago und in Deutschland?

In Tobago ist es immer warm, ich wohne 10 Minuten von einem sehr schönen Strand mit angenehmen Wellen entfernt. Dort jogge ich mit BVB-Mütze und Shirt – um auch im November nicht zu viel Sonnenbrand zu bekommen. Außer einigen Shirts und Shorts brauche ich ansonsten kaum Kleidung, dies empfinde ich als sehr angenehm.

Was sonst noch anders ist in Tobago: Mordrate, Häufigkeit von Gewaltverbrechen, Bedeutung von Drogenhandel und Drogenkonsum, Integrität und Effektivität der Polizei, soziale Ungleichheit, Homophobie, Korruption, Selbstbereicherung der „Eliten“, Ansehen von Politikern in der Bevölkerung, Rechtsstaatlichkeit/ funktionstüchtiges Justizwesen, Arbeitsmoral, Angebot von Kultur/Museen/Theater. Ich will damit nicht sagen, dass Trinidad und Tobago eine Bananen-Republik ist – bitte keine Missverständnisse. Die Bananen, die man in Tobago kaufen kann, sind nämlich importiert…

Außerdem kann ich aufgrund gewisser Kulturunterschiede nicht mal eben vor die Türe gehen, um eine größere Gruppe Gleichgesinnte zu treffen (abgesehen von Karneval). In Tobago bin ich ein Exot, der mitunter noch immer für einen Touristen gehalten wird. Im Westfalenstadion bin ich einer von 75.000 – die 5000 Gästefans habe ich bereits abgezogen. Und niemand fragt mich, wo ich herkomme…

Du betreibst einen Blog unter http://www.caribean.de/tobago-blog/. Um was geht’s in deinem Blog?

Ich möchte Tobago so schildern wie es ist – abseits aller Touristenromantik. Es gibt in Tobago wunderschöne Natur, einige sehr nette Menschen, demokratische Strukturen, Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch viele Dinge, die mir erst nach vielen Jahren auf der Insel bewusst geworden sind. Vieles, was mir aufgrund meiner Sozialisation in Deutschland als selbstverständlich erschien, gilt hier als völlig fremdartig. Darüber schreibe ich. So gibt es neben Kapiteln über „Tourismus“, „Auswandern“ und „Land und Leute“ auch Kapitel über „Erziehung/Schule“, „Korruption/Kriminalität“ und „Rassismus/Hautfarbe“. Einige Kapitel handeln von Themen, die nicht direkt oder gar nicht mit Tobago in Verbindung stehen, die mir aber sehr am Herzen liegen: So sitzt der Deutsche Jens Söring seit über 28 Jahren als Opfer eines Justizverbrechens in einem US-Amerikanischen Gefängnis – inhaftiert für ein Verbrechen, an dessen Planung und Ausführung er nachweislich nicht beteiligt war. In einigen Artikeln informiere ich zu seinem Fall mit zahlreichen Belegen.

Dieses Konzept meines Blogs möchte ich in Zukunft nach Möglichkeit fortsetzen, erweitern und verbessern. Die meisten Ideen für einen neuen Artikel kommen mir ganz spontan…

Kannst du dir vorstellen, irgendwann wieder nach Deutschland zurückzukehren?

Ja, ich zähle ja schon. Es gibt so eine Excel-Funktion. Als ich mit dem Blog begonnen habe, waren es noch 2169 Tage bis zum 18. Geburtstag meines Sohnes.

Welchen Tipp würdest du zukünftigen Tobago (bzw. Karibik) Auswanderern mit auf den Weg geben?

Wenn jemand in die Karibik auswandern möchte, kann er mich gerne konkret um Tipps fragen. Generell möchte ich mit einigen Gegenfragen antworten: Ist es Dir bewusst, was es bedeutet, in einem mitteleuropäischen, freiheitlichen, demokratischen Sozialstaat zu leben? Bist Du bereit, dies aufzugeben? Hast Du Dir mal überlegt, warum so viele Menschen der Karibik von einem Leben in Europa oder Nordamerika träumen, während Du zu den wenigen gehörst, die in die andere Richtung gehen wollen? Warum gerade die Karibik und nicht eine andere Region der Welt, in der mitteleuropäische Einwanderer eher willkommen sein sollten? Bekommst Du leicht Sonnenbrand?
Vielen Dank für das Interview!

über mich

Rainer Hellstern

Mein Name ist Rainer und ich bin Gründer und Autor des Auswandern Handbuchs. Seit 2008 verfasse ich hier Beiträge rund um die Themen Arbeit, Leben und Rente im Ausland. Mehr über mich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert